Auch der Jahresbeginn 2021 steht im Zeichen der Pandemie. Das Reisen in fremde Länder ist stark eingeschränkt. Doch welche Auswirkungen wird Covid-19 auf unsere zukünftigen Reisen mit dem Flugzeug haben? Wir haben mit Sergio Colella, dem Präsidenten von SITA für Europa (SITA ist der weltweit führende Spezialist für Kommunikations- und Informationstechnologie im Luftverkehr) über Maßnahmen und Zukunftstechnologie gesprochen.
Herr Colella, das Jahr 2020 steht für verwaiste Flughäfen, unsichere Passagiere und leer stehende Hotels. Auch für die Hochsaison 2021 kommen die nun gestarteten Impfmaßnahmen wahrscheinlich noch zu früh.
Welche Maßnahmen sind in der Luftfahrtindustrie geplant um den Passagieren ein gutes Gefühl für die Buchung eines Fluges im Jahr 2021 zu geben?
Bisher konzentrierte sich der Schwerpunkt der Luftverkehrsbranche im Bereich Sicherheit hauptsächlich auf die Flugzeuge und Sicherheitsverfahren. Nach 9/11 begannen wir, „Antiterrorismus“-Maßnahmen als einen wesentlichen Aspekt der Sicherheit der Passagiere zu betrachten. Heute, als Folge der Corona-Pandemie, wird plötzlich der Gesundheit der Menschen während ihrer Reisen ebenso viel Aufmerksamkeit geschenkt. Es geht darum, das Risiko von Ansteckungen im Massenbetrieb eines Flughafens auf ein Minimum zu beschränken. SITA arbeitet laufend an Technologielösungen, um fast gänzlich kontaktloses Reisen zu ermöglichen. Im idealfall kommt der Passagier am Flughafen an und ist “ready to fly”. An Flughäfen in Peking und Miami reicht das eigene Gesicht als Bordkarte schon aus, um berührungslos durch den Flughafen zu kommen.
Außerdem gibt es noch die SITA Airport Management Technologie, die den Passagierfluss auf Schritt und Tritt verfolgt und daraufhin konkrete Einblicke in Echtzeit bereitstellt. So können Flughäfen erkennen, wohin sich Passagiere bewegen und Leitsysteme entwickeln. Die Personendichte muss proaktiv kontrolliert werden, genauso wie das Social Distancing im Tagesbetrieb und auf lange Sicht in der Planung.
Neue automatische Grenzkontrollkioske werden qualitativ hochwertige biometrische Daten erfassen und für eine wirksamere Kontrolle der Einreisebedingungen in die EU sorgen. Gleichzeitig werden sie die Wartezeiten für Reisende verkürzen.
Möglich sind auch elektronische Gesundheitszeugnisse – analog zu elektronischen Visa, die in den Computern der Grenzwächter mit der Passnummer des Reisenden verbunden sind. Darin könnten Impfungen vermerkt sein oder aktuelle Gesundheitstests. Um Reisefreiheit wie vorher genießen zu können, müssen wir wohl oder übel bereit sein, mehr Informationen zu unserer Gesundheit preiszugeben.
Zusammengefasst: Social Distancing, kontaktlos Reisen, Gesundheitsvisa und Grenzkontrollen sind womöglich die wichtigsten Maßnahmen, die 2021 in der Luftverkehrsbranche gesetzt werden.
Welche Möglichkeiten gibt es – auch im Hinblick auf Digitalisierung – um den zwischenmenschlichen Kontakt beim Check-in größtmöglich zu vermeiden?
Wir empfehlen grundsätzlich immer, die Vorteile der bereits verfügbarer Technologien zu nutzen, um die Reiseschritte abzuschließen, bevor die Reisenden den Flughafen erreichen, und die automatisierten Passagierlösungen zu verwenden, mit denen sie die Schritte abschließen können, ohne Oberflächen im Flughafen zu berühren. Es ist eine sicherere und oft viel schnellere Art, durch den Flughafen zu kommen. Im Grunde wird das Smartphone zur Reise-Fernbedienung. Das heißt digitaler Check-In von zuhause aus, Boarding-Card auf dem Smartphone, Gepäckstücke selber aufgeben und nicht mehr am Schalter, biometrische Systeme wie Gesichtserkennung, statt Passkontrolle, werden in naher Zukunft immer mehr zur Selbstverständlichkeit.
Am BCIA Flughafen in Peking haben wir dieses Jahr den SITA Smart Path integriert: Das heißt, damit wurde die gesamte Fluggastabfertigung mit SITA-Technologie automatisiert, einschließlich Check-in, Gepäckabfertigung, Ein- und Ausreise, Sicherheit und Boarding.
Die Passagiere müssen sich nur einmal beim Check-in registrieren und kommen dann dank Gesichtserkennung problemlos durch den Flughafen. Dass es die Abfertigung am Flughafen Peking deutlich beschleunigen kann, wurde bereits erwiesen: Über 400 Fluggäste eines Airbus A380 waren in weniger als 20 Minuten an Bord. Die effizientere Abfertigung verkürzt die Wartezeiten für alle Fluggäste und erlaubt ihnen mehr Social Distancing. Vorteilhaft in COVID-19-Zeiten ist auch, dass keine Flughafengeräte mehr berührt werden müssen, was die Ansteckungsgefahr reduziert.
Der SITA Smart-Path wird bereits an weiteren großen Flughäfen weltweit implementiert und in einigen Jahren, wird dieser Ablauf keine Ausnahme, sondern weltweit die Norm sein.
Welche Auswirkungen hat die Anwendung von Low-Touch-Technologie auf die Flugsicherheit?
Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie ist die Verunsicherung der Flugreisenden natürlich hoch. Die Low-Touch-Technologie hat selbstverständlich keinen direkten Einfluss auf politisch entschiedene Reisebeschränkungen oder Flugstornierungen. Sie kann aber helfen, das Vertrauen der Passagiere zurück zu gewinnen, was dieses und nächstes Jahr SITAs oberstes Ziel ist.
Flugpassagiere wollen wieder reisen, verlangen aber auch bestmögliche Schutzmaßnahmen vor Ort am Flughafen, sowie im Flugzeug selbst. Unsere Low-Touch-Technologien leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, das Vertrauen der Flugpassagiere zurückzugewinnen und ihnen die bestmögliche Sicherheit für Ihre Gesundheit zu gewährleisten. Dazu gehören Distanzierung, Hygiene und sanitäre Einrichtungen sowie die Kontrolle der Gesundheit der Passagiere. Auch mit neuen Impfstoffen wird die Branche weiterhin Vorsicht walten lassen, um die Passagiere zu beruhigen.
Ein positiver Nebeneffekt ist natürlich, dass sich lästige Wartezeiten verringern und die Abwicklung sehr viel effizienter stattfindet.
Welche Präventivmaßnahmen sind zukünftig „an Board“ geplant um die Gesundheit der Passagiere bestmöglichst zu schützen?
An Bord wird für Vertrauen gesorgt, indem für Passagiere zunehmend 4G-Datennetze und WLAN bereitgestellt werden, um unpersönliche Kontaktpunkte, wie Bildschirme in der Rückenlehne, überflüssig zu machen und Social Distancing zu vereinfachen.
Die üblichen Vorkehrungen wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Händewaschen oder regelmäßiges Desinfizieren des Fahrzeuginnenraums wird bis auf weiteres unerlässlich bleiben.
Viele Airlines haben während der Kurzstrecken auch Ihr Essens-Angebot stark reduziert, um zu vermeiden, dass viele Passagiere gleichzeitig ohne Mund-Nasen-Schutz nebeneinander konsumieren.
In Ihrem Umfeld war zuletzt von „digitalen Reisepässen“ zu hören. Können Sie uns mehr darüber berichten?
Wir gehen davon aus, dass die Entwicklung einer digitalen Identität den traditionellen Reisepass in den kommenden Jahren ersetzen wird.
Längerfristig gibt es Initiativen, die es Reisenden ermöglichen, ihre Identitätsnachweise auf ihren Smartphones zu speichern. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) arbeitet an einem digitalen Reiseausweis, der vom ePass abgeleitet ist, der von Ihrer Regierung ausgestellt wird und in einer sicheren Brieftasche auf Ihrem Smartphone gespeichert werden kann.
Zukünftige Reisende werden in der Lage sein, ihre Ausweise sicher mit Regierungen, Flughäfen und Fluggesellschaften von ihrem Telefon aus und unter ihrer Kontrolle auszutauschen, wobei der Schutz ihrer persönlichen Daten gewährleistet ist. SITA arbeitet mit der Sovrin Foundation zusammen, einer internationalen Non-Profit-Organisation, die den Einsatz der Blockchain-Technologie zu diesem Zweck untersucht. Die Sovrin-Initiative verspricht eine Lösung, die die Grundlage dafür sein könnte, wie wir in Zukunft reisen.
Wie glauben Sie werden sich die Zahlen der Flugreisenden in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln?
Basierend auf allen Vorhersagen bekannter Verbände wie IATA, ERA und ACI werden die Passagierzahlen höchstwahrscheinlich erst 2024 wieder das Niveau von 2019 erreichen.
Es wird erwartet, dass Impfstoffe und Tests den weltweiten Reiseverkehr im Jahr 2021 auf 50 % des Niveaus von 2019 stützen werden, mit deutlichen Steigerungen später im Jahr.