Aus dem frischen Wind, der eben noch über die Höhen des Bayerischen Waldes wehte, ist ein laues Lüftchen geworden. Still ist es nun auf den verschwiegenen Pfaden, denn der Wald voller Bergfichten schluckt fast jeden Laut. So mancher Wanderer neigt in solchen Augenblicken zur Andacht oder auch zur Demut, denn die Begegnung mit den knorrigen Riesen lässt die körpereigenen Hormone galoppieren und setzt Glücksgefühle frei. Wanderungen sind Wundermittel des Lebens, und wer den Nationalpark Bayerischer Wald mit all‘ seinen Sinnen genießt, der wird im Nachhinein dem legendären Tierfilmer Bernhard Grzimek dankbar sein, dass dieser sich vor fünfzig Jahren für den Erhalt dieses einzigartigen Bergwaldes einsetzte. Heute ist diese Region so etwas wie das „Tafelsilber“ unter den naturbelassenen Landschaften Deutschlands.
Die größte aller Waldlandschaften in Mitteleuropa breitet sich zwischen der Grenze zu Österreich, der Donau und dem Böhmerwald über rund sechstausend Quadratkilometer aus. Wer sich dieses Gebiet für seine Wanderungen ausgesucht hat, der kann wählen zwischen schweißtreibenden Touren oder Wegen, die auch Familien mit ihren Kindern mühelos bewältigen können. Alte Handelsrouten führen sogar bis ins Nachbarland Tschechien. So mancher entscheidet sich für das ausdauernde Gehen über viele Stunden, andere genießen vor allem die Landschaft, freuen sich auf eine Rast an einem der Bäche, die sich durch diese grüne Welt winden und in ihrem Bett die Felsen rund geschliffen haben. Hier gibt es Natur- und Erlebnispfade, wilde Schluchten und unzählige romantische Plätze, wo es sich lohnt, innezuhalten. Es finden sich gemütliche Hütten zum Einkehren und immer wieder Ausblicke, die die Seele berühren.
Wanderwege im Bayerischen Wald
Ein Hinweis vorweg: Wie immer gilt – Nehmt beim Wandern gegenseitig Rücksicht und beachtet die Weggebote und Schutzgebiete. Im Bayerischen Wald sind auch viele Mountainbiker unterwegs. Jeder hat das Recht sich in dieser wunderbaren Natur zu bewegen.
Das Gefühl der absoluten Freiheit stellt sich auf den Wanderwegen des Bayerischen Waldes immer dann ein, wenn sich das „grüne Dach Europas“ öffnet und der Blick von einem Bergrücken bis zum Horizont reicht. Dies ist das Eldorado für Menschen, die ihre Wanderstiefel schnüren, den Rucksack bestücken und sich auf die großen und kleinen Erlebnisse ihrer Outdooraktivitäten freuen. Umfangreich ist die Palette der Ziele im Bayerischen Wald zu wandern, und so mancher Wanderer ist überrascht, wenn er unterwegs sogar auf ein Museum trifft. In Altnußberg hat sich ein Burgmuseum etabliert, in Roding gibt es ein Feuerwehrmuseum, und in Weiß erfährt man alles, was man über das Leben der Bienen eigentlich wissen sollte.
Wer sich auch über weite Strecken auf Schusters Rappen begeben möchte und während seines Aufenthalts als Wanderer im Bayerischen Wald zahlreiche Etappenziele einplant, der kann sich nach den Schildern richten, die die Route des Fernwanderweges Goldsteig markieren. Dieser Wanderweg führt über immerhin 660 Kilometer und zählt zu den „Top Trails“ in deutschen Landen. Wer dabei sein Gepäck nicht schleppen möchte, kann sich diverser Organisationen bedienen, die sich um den Transport bemühen.
Gipfeltouren – Nicht nur für geübte Wanderer
Zugegeben: Die Auswahl fällt bei über 130 Gipfeln schwer. Dennoch gibt es für einen Wanderer kaum ein schöneres Glücksgefühl als den Gipfel eines Berges zu erreichen. Der Bayerische Wald bietet viele Möglichkeiten. Vom Sportwanderer bis hin zum Familienausflug.
Unsere Gipfel-Tipps:
- Großen Arber (1.456 m) – höchster Berg der Region
- Gibachtmassiv (900-1.000) m im Naturpark Oberer Bayerischer Wald
- Rachel (1.453 m), Lusen (1.373 m) und Großer Falkenstein (1.315 m) im Nationalpark Bayerischer Wald
- Dreisesselberg (1.333 m) im Dreiländereck Bayern-Böhmen-Oberösterreich
- Pröller (1.048 m), Hirschenstein (1.095 m), Geißkopf (1.097 m) und Brotjacklriegel (1.011 m) gläzen mit tollen Aussichtstürmen
Wandertipps mit der Familie
- Eisvogelsteig bei Arnschwang – Klettersteig im Fluss
- Waldwipfelweg Sankt Englmar
- Erlebnisweg Falke Frauenau
- Bärenpfad Grafenau-Neuschönau
- Naturerlebnispfad am Staffelbach Hauzenberg
- Auf dem historischen Pandurensteig von Waldmünchen bis Passau wandert man auf den Spuren der Panduren. Dabei trifft man unter anderem auf den weißen Quarzfelsen „Großen Pfahl“ in Viechtach, die Burgruine Weißenstein und das Naturschutzgebiet Ilz am Dießenstein.
- Unser Reisemagazin-Tipp: Wildwanderweg Buchet Bernried
Der Mut der Förster führte zum Bayerischen Dschungel
Im Bayerischen Wald setzen die Verantwortlichen auf die Selbstheilungskräfte der Natur. Hier ließ man den Borkenkäfer gewähren als ganze Bergrücken kahlgefressen wurden. Die Forstmänner vertrauten dem freien Spiel der Kräfte und hatten schließlich Erfolg. Die Botanik veränderte sich, doch wo sich einst eine eher sterile Monokultur breitgemacht hatte, entwickelte sich ein eindrucksvoller bayerischer Dschungel. Der an Nährstoffen reiche Kot der Käfer gab einer spannenden Natur einen starken Schub, und wer heute am Lusen durch den Bergwald wandert, bemerkt das Grün der Hoffnung in Form von vielen Baum-Kindern, die aus den abgestorbenen Stümpfen lugen. Der Mut zur Wildnis wurde im Bayerischen Wald zu einem erfolgreichen Experiment.
Die zivilisierte Welt scheint sich hier auf dem Rückzug zu bewegen, und die Urwüchsigkeit des Bayerischen Waldes ist ein ideales Revier für kleine und große Wanderer und damit für die ganze Familie. Wer mit Kindern unterwegs ist, wird sich in einem besonderen Maße auf dem sogenannten „Schaukelweg“ bei Breitenberg wohlfühlen. An der Blutwurz Hütt’n geht es los, und unterwegs warten immerhin 18 Kinderspielplätze auf den Nachwuchs. Durch eine Gegend, die einem Dschungel ähnelt, führt der „Felswanderpfad“ am Steinberg, und der Weg zur Tropfsteinhöhle Schulerloch ist wie ein Spaziergang durch die Steinzeit und gewährt Einblicke in jene Periode, als dort noch die Neandertaler lebten.
Außergewöhnliche Momente im Bayerischen Wald
Alljährlich im November ziehen die Bewohner des kleinen Fleckens Langdorf bei Bodenmais mit viel Geschepper durch ihre Gemeinde. Das ist das sogenannte „Wolfauslassen“, ein alter Hirtenbrauch. Er entstand, als noch Bären und Wölfe durch den Bayerischen Wald streiften. Immer wieder begegnen Wanderer in dieser Region dem überlieferten Brauchtum aus längst vergangenen Zeiten. Und mit etwas Glück beobachten sie in dieser ungezähmten Natur die scheuen Fischotter an den Flüssen oder die stolzen Auerhähne an deren Ufern. Etliche Tierarten, von denen man glaubte, sie seien längst ausgestorben, wurden im Dickicht der Wälder wieder heimisch.
Wer das Außergewöhnliche sucht, der wird sich im Bayerischen Wald womöglich für das „Eselwandern“ begeistern können. Bei diesen Touren über die weiten Felder und durch abgeschiedene Dörfer erfreuen sich die Urlauber der Begleitung eines Esels. Die freundlichen Vierbeiner kann man für Eintages- oder Mehrtages-Etappen mieten. Nach einem Basis-Kurs und der Gewöhnung aneinander geht es dann los, und dem Esel wird das Gepäck anvertraut.
Auf den Wanderungen trifft man immer wieder auf die traditionelle Glashandwerkskunst in Bayern. Die Glasstraße in Ostbayern ist eine der schönsten Ferienstraßen in Deutschland. Nehmen Sie sich die Zeit und besuchen Sie eines der Betriebe oder Museen.
Bei einer Wanderung im Bayerischen Wald ist so mancher auch seiner Erinnerung auf der Spur. Denn hier duftet es an warmen Sommertagen, wie zu Zeiten der eigenen Kindheit, nach dem frischen Heu. Hier schmecken die Knödel in den Hütten am Wegesrand wie einst bei Muttern. Und wenn am Abend im Restaurant des Hotels das Kaminfeuer knistert, fehlt eigentlich nur noch der Großvater, der den Kindern vom Rotkäppchen berichtet, das auf einer Lichtung zwischen den Bäumen einen Strauß bunter Blumen pflückt. Der Bayerische Wald ist für Wanderer auch ein Reservat für die Seele, wo man die Wildnis zugelassen hat und wo das Leben für jene, die sich dort bewegen, freier und reicher wird.