Bei ihrem kreativen Schaffen wachsen den Glasbläsern im Bayerischen Wald offenbar Flügel. Zu besichtigen sind die Produkte dieses sehr alten Handwerks in den Werkstätten am Rande der Glasstraße. Und die ist immerhin 250 Kilometer lang und eine Ferienstraße zwischen Waldsassen an ihrer nördlichen Peripherie und Passau an der Donau. Die Glasstraße hat sich inzwischen zu einem touristischen Highlight im Bayerischen Wald gemausert und sich außerdem einen festen Platz in der Werbung der Tourismus-Manager dieser Region gesichert. Sie ist eine Spielwiese der Phantasie, und wer in den Glashütten vorbei schaut, wird begeistert sein von der Vielfalt dieser Kunst und der Schaffenskraft dieser Künstler.
Glas ist eng verknüpft mit der Geschichte der Menschheit. Dieses Material gab es bereits in der Steinzeit, und um 3000 vor Christi Geburt wurden nachweislich in Ägypten sowie in der Hochkultur des Zweistromlandes Mesopotamien Gegenstände aus Glas gefertigt. Wissenschaftler entdeckten auf einer Tontafel aus Babylonien das Rezept, das noch immer die Glasbläser inspiriert. Quarzsand, Kalk, Pottasche und Soda sind die Grundelemente, denen sich die Handwerker im Bayerischen Wald schon im 14. Jahrhundert bedienten. In jener Zeit entstanden dort die sogenannten „Wanderglashütten“, die zu dem Zweck errichtet wurden, überall dort für eine kurze Zeit tätig zu werden, wo es nicht an Holz mangelte, um das Glas in den Schmelzöfen zum Glühen zu bringen.
Dieser uralten Tradition fühlen sich noch immer die Glasbläser verpflichtet, und die Produkte aus ihren Glashütten im Bayerischen Wald finden seit Generationen Sympathisanten in aller Welt. Die Glasstraße führt durch eine faszinierende Landschaft und lädt in zahlreichen Stationen ein, den Handwerkern bei ihrer Arbeit zuzuschauen oder sich an deren Produkten in den Shops zu erfreuen. Konzipiert wurde diese Ferienstraße im Jahr 1997 durch drei Männer, die sich der Region verbunden fühlten. Eröffnet wurde sie dann durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Mitglieder des seinerzeit gegründeten Arbeitskreises Glasstraße sind insgesamt 48 Gemeinden und acht Landkreise in Ostbayern.
Die Glashütten sind nicht nur mit dem Auto zu erreichen sondern auch Stationen bei interessanten Wanderungen am Rande des Goldsteigs, des Gläsernen Steigs, des Glasschleiferweges und des beliebten Glashüttenwanderweges. Überall dort sind die zerbrechlichen Schönheiten zu bewundern – und natürlich auch zu erwerben. Frauenau hat den Ruf erworben, das „Gläserne Herz“ des Bayerischen Waldes zu sein. Hier gibt es mehrere Manufakturen. Darunter die älteste Glashütte Deutschlands, der Familienbetrieb des Benedikt Freiherr von Poschinger. Seit nunmehr fünfzehn Generationen widmet man sich hier der Glasproduktion, und die Gründung der Glasbläserei geht zurück auf das Jahr 1568. Historische Schriften gaben damals die Anleitung zur Herstellung von Gebrauchsgegenständen in Form von Gläsern und Flaschen. Inzwischen finden sich die Kunstwerke der Poschingers sogar in Flugzeugen und als Interior auf teuren Yachten.
Wer mehr erfahren möchte über die Geschichte dieses Handwerks sollte sich ins Staatliche Glasmuseum Bayerischer Wald von Frauenau und damit zu einer Entdeckungsreise durch die Jahrhunderte begeben. Der tschechische Meister Petr Novotny begrüßt dort die Besucher mit einem gläsernen Baum. Für einen Spaziergang durch die Gläsernen Gärten von Frauenau sollte man sich Zeit lassen, denn der Weg ist immerhin drei Kilometer lang.
Der Phantasie der Glasbläser sind offenbar keine Grenzen gesteckt. Und so führt eine weitere Wanderung durch einen Wald aus Glas. Im kleinen Ort Regen und zu Füßen der Burgruine Weißenstein schuf der Künstler Rudolf Schmid insgesamt dreißig Bäume aus Flachglas. Sie sind bis zu acht Meter hoch. Ihre Blätter rascheln zwar nicht, doch sie produzieren einzigartige Lichteffekte. Hier lohnt sich auch eine Besichtigung nach Einbruch der Dunkelheit, wenn etliche Bodenfluter diesen ungewöhnlichen gläsernen Wald anstrahlen.
Das Handwerk der Glasbläser ist zeitlos und durch keine moderne Maschine zu ersetzen. Glücksmomente verspricht auch der Aufenthalt in Bodenmais. Nicht nur wegen der natürlichen Schönheiten der Umgebung und der gastfreundlichen Menschen, die hier leben sondern auch wegen der Produkte aus der Ideenschmiede des JOSKA-Glas-Paradieses. In dieser Glasbläserei entstand unter anderem das größte Weinbierglas der Welt. Es war eine außergewöhnliche Herausforderung, das über ein Meter hohe Trinkgefäß zu produzieren. Etliche Glasbläser mussten die Ärmel aufkrempeln, um den glühenden Glasball aus dem Schmelzofen zu transportieren. Zu besichtigen ist dort außerdem die größte mundgeblasene Weihnachtskugel, die jemals geformt wurde. Sie hat einen Durchmesser von sechzig Zentimetern.
Alle Glasbläsereien entlang der Glasstraße im Bayerischen Wald haben ihren eigenen Charakter. So legen die Künstler im Glasdorf von Arnbruck besonderen Wert auf die Harmonie zwischen Glas und Natur, während in der Galerie Herrmann in Drachselsried etwa 150 internationale Künstler aus dreißig Nationen ihre Objekte präsentieren. Die Stadt Zwiesel ist seit jeher eng verknüpft mit der Handwerkskunst des Glasblasens. Der Werksverkauf der Kristallglas AG ist noch immer ein Anziehungspunkt für viele Besucher. Das traditionsreiche Unternehmen stiftete der Stadt Zwiesel eine Pyramide aus genau 93.665 Gläsern. Auch das war ein Weltrekord. Im Mai 2003 entstand in diesem Ort dann eine gläserne Kapelle mit einer gläsernen Glocke und einem gläsernen Turm. Zweifellos ist auch das einer der vielen Highlights auf dem Weg der Glasbläser. Farbenfroh, zeitlos schön und hin und wieder auch behaftet mit einer Prise Frechheit sind die Glasbilder aus dem Studioofen der Familie Köck in Riedlhütte.
In den Glasbläsereien haben die Besucher nicht nur Gelegenheit, den künstlerisch begabten Handwerkern bei ihrer Tätigkeit zuzuschauen. Hin und wieder werden sie sogar aufgefordert, selbst zu versuchen, aus einer feurig-flüssigen Masse Kugeln zu fertigen