Schon auf den ersten Blick wird klar: Nancy ist eine Stadt der Geschichte, der Kultur und Architektur. Nicht ohne Grund gilt sie als Hauptstadt des französischen Jugendstils. Das ist allerdings nur eine architektonische Facette. Renaissancegebäude und Häuser im Stile des Art Déco und Klassizismus zeichnen ein einzigartiges Stadtbild. Hauptattraktion ist zweifellos die historische Altstadt, die Ville vieille. Und mittendrin ein Juwel: Die Place Stanislas ist eines der bemerkenswertesten Beispiele vollendeter Baukunst. Zu verdanken ist dieses Schmuckstück dem Herzog von Lothringen und ehemaligen König von Polen, Stanislas Leszczyński, der die Idee dazu hatte. Und natürlich dem Architekten Emmanuel Héré, der sie umsetzte. Zusammen mit den angrenzenden Place de la Carrière und der Place d’Alliance kam dieses Ensemble 1983 auf die Liste des Weltkulturerbes.
Vergangenheit auf Schritt und Tritt
Der ebenso bewegten wie ruhmreichen Vergangenheit begegnet man in der Hauptstadt des Départements Meurthe-et-Moselle in Lothringen (seit 2015 Grand Est) auf Schritt und Tritt. Angesiedelt haben sich die ersten Menschen im 8. Jahrhundert v.Chr. auf den Hügeln der Stadt. Der Abbau von Eisenerz hinterließ dort Spuren. Kein Spuren hinterließen hingegen die Römer während ihrer Herrschaft in Gallien. Erst Graf Gerhard, Herzog von Lothringen, war es, der mit dem Bau einer Burg, sie trug den Namen Nanciacum, den Grundstein legte für die spätere Stadt. In den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten standen in Nancy fast ohne Pause die Zeichen auf Krieg. Immer wieder wurde versucht, die Stadt unter die französische Krone zu bringen. Kaiser Friedrich II. legte die Stadt während des Erbfolgekrieges in Schutt und Asche. Der dreißigjährige Krieg, der Deutsch-Französische Krieg, blutige Straßenkämpfe während der Französischen Revolution, die beiden Weltkriege, alle hinterließen sie Spuren des Grauens.
Zwei fortschrittliche Herzöge
Trotz aller kriegerischer Auseinandersetzungen erlebte Nancy zwischen 1489 und 1608 eine ungeahnte Blütezeit. Dafür sorgten die beiden Herzöge Anton und Karl III. Vor allem Karl III. galt als sehr fortschrittlich und wissenschaftsorientiert. Zu seiner Zeit wurde der südliche Teil der Altstadt zur Neustadt umgewandelt. Auffällig dabei ist, dass die Straßen ein Netz aus rechtwinklig sich kreuzenden Wegen bilden.
Symbiose aus Industrie und Kunst
Im Zentrum von Nancy steht zweifellos die Altstadt mit ihrem historischen Kern. Besonders charmant sind die kleinen Gassen rund um den Herzogpalast. Wer von der Place Magino zur Place Stanislas spaziert, sieht sich mit einem industriellen Bürgertum um 1900 konfrontiert. Geschäfte, Banken, Zeitungslokale, kleine Restaurants und Kulturräume. Wenn eine Stadt es verstand, den Jugendstil zu implementieren, dann war es Nancy, das zur Hochburg dieser Stilrichtung wurde. Zu verdanken war das einem Mann: Emile Gallé. Um 1900 verschrieb sich eine ganze Künstlergeneration einer völlig neuen Kunstform. Die industrielle Produktion lief damals auf Hochtouren.
Den Künstlern schwebte eine Symbiose aus Industrie, Wissenschaft und Botanik vor. Ideengeber war Emile Gallé. Der Kunsthandwerker war bekannt für seine außergewöhnlichen Jugendstil-Entwürfe von Möbeln, Glas und Keramik. Zusammen mit den Brüdern Auguste und Antonin Daum sowie René Lalique und Gabriel Argy-Rousseau gründete er die später weltberühmte École de Nancy, die sich dem Jugendstil verschrieben hat. Architektonische Beispiele des Jugendstils sind über die ganze Stadt verstreut. Im Geschäftsviertel gehört das L’Excelsior, eine Brasserie von 1910 mit zu den schönsten. Das atemberaubende, opulenten Interieur lässt die exquisite Speisekarte fast zur Nebensache werden.
Auch das Gebäude des ehemaligen Samenhandels und die Bank Crédit Lyonnais, beide von 1901 erinnern außen wie innen eher an einen opulenten Palast, als an nüchterne Geschäftshäuser. Ein weiteres Highlight findet man im Saurupt-Park. In dieser modernen Gartenstadt dominieren zwei Kunstrichtungen: Jugendstil und Art déco. Entworfen wurde das Viertel von Künstlern der École de Nancy. Auffallend oft vertreten ist die Farbe Blau.
Ein Garten mit Aquarium
Im malerischen Vierteil Sainte-Marie findet man schließlich das Museum der École de Nancy. Die bemerkenswerte Sammlung von Möbeln, Kunstobjekten und Textilien lässt die Atmosphäre der damaligen Zeit wieder aufleben. Das Esszimmer, entworfen von Eugène Vallins, ist eine Symphonie geschwungener Formen. Das Erdgeschoss ist der prachtvollen Glassammlung des Begründers der École de Nancy gewidmet. Hier kann man die Kunstfertigkeit von Emile Gallé bewundern.
Vieles davon sind wertvolle Unikate. Der Museumsgarten ist ein Kunstwerk für sich. Man findet wunderbare Seerosenreiche, herrliche Pflanzen aus dem frühen 20. Jahrhundert und das wohl außergewöhnlichste Aquarium, das man sich vorstellen kann. Ein runder Pavillon mit atemberaubenden Buntglasfenstern beherbergt das Aquarium, dessen Fische man vom Erdgeschoss sehen kann. Allerdings kann der Pavillon nur mit Genehmigung besucht werden. Ein Versuch lohnt sich.
Kirchen und Gemälde
Neben all den Jugendstilschönheiten sollte man jedoch nicht versäumen, einen Blick in die verschiedenen Kirchen zu werfen. Die Franziskanerkirche Saint-François-des-Cordeliers zum Beispiel ist die Grablege der Herzöge von Lothringen. Eine unruhige Vergangenheit hatte die barocke Kirche Saint-Sébastien. Während der Französischen Revolution diente sie als Irrenanstalt, danach als Strohlager. Ab1801 schließlich wurde sie wieder als Gotteshaus genutzt. Die barocke Kathedrale von Nancy ist berühmt für ihre Orgel von 1763, gebaut von Nicolas Dupont. Ein Muss ist auch der Besuch im Musée des Beaux-Arts. Das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert beherbergt überwiegend Gemälde von französischen, niederländischen und italienischen Künstlern. Darunter Tintoretto, Caravaggio, Rubens, Manet oder Breughel. Das Museum ist übrigens Teil des Ensembles an der Place Stanislas und gehört zum Weltkulturerbe.